Geboren und aufgewachsen zwischen Köln und dem Bergischen Land, bin ich keine waschechte Rheinländerin. Und doch empfinde ich einen Hauch von Heimatgefühl, wenn mein Zug wieder einmal über die Deutzer Brücke in Richtung Hauptbahnhof fährt und ich einen Blick auf die Kölner Altstadt und den Dom habe.
Zurück in Hamburg und konfrontiert mit dem Leben „an sich“ (wie der Rheinländer sagen würde) oder auch in diversen Momenten im Coaching, kommt mir seit Jahren immer einmal wieder das sogenannte Rheinische Grundgesetz in den Sinn.
Die 11 Artikel dieses Gesetzes lauten wie folgt (nebst hochdeutscher Übersetzung):
Artikel 1: Et es wie et es.
(„Es ist, wie es ist.“)
Artikel 2: Et kütt wie et kütt.
(„Es kommt, wie es kommt.“)
Artikel 3: Et hätt noch immer joot jejange.
(„Es ist bisher noch immer gut gegangen.“)
Artikel 4: Wat fott es, es fott.
(„Was fort ist, ist fort.“)
Artikel 5: Nix bliev, wie et wor.
(„Nichts bleibt, wie es ist.“)
Artikel 6: Kenne mer nit, bruche mer nit, fott domet.
(„Kennen wir nicht, brauchen wir nicht, fort damit.“)
Artikel 7: Wat wells de maache?
(„Was willst du machen?“)
Artikel 8: Maach et joot, ävver nit zo off.
(„Mach es gut, aber nicht zu oft.“)
Artikel 9: Wat soll dä Kwatsch/Käu?
(„Was soll das sinnlose Gerede?“)
Artikel 10: Drinks de ejne met?
(„Trinkst du einen mit?“)
Artikel 11: Do laachs de disch kapott.
(„Da lachst du dich kaputt.“)
In diesem „Gesetz“ stecken, wenn Sie mich fragen, jede Menge Lebensweisheiten.
Mein persönlicher Favorit ist Artikel 1, „Et es wie et es“. Hier geht es – gemäß meiner Deutung – darum, anzuerkennen, was ist. Darum, nicht in den Widerstand gegen Dinge zu gehen, die bereits geschehen sind („Das hätte nicht geschehen dürfen!“) oder gegen die man selbst nichts tun kann, wie bspw. das Wetter in Hamburg. Widerstand oder das Hadern mit dem Schicksal kosten stets Kraft. Daher empfiehlt die Bestseller-Autorin Byron Katie zu „Lieben, was ist“. Sie ist eben Kalifornierin, keine Kölnerin.
Nicht zu verwechseln ist Artikel 1 übrigens mit einer Aufforderung zur Resignation.
Artikel 3, „Et hätt noch immer joot jejange.“ mag ich wegen seiner wertschätzenden Grundaussage. Denn wäre nicht am Ende immer alles irgendwie gutgegangen, wären wir heute nicht hier.
Artikel 5, „Nix bliev, wie et wor“, wurde sogar von Nobelpreisträger Bob Dylan aufgegriffen, der „The times they are a changing’“ titelte. Das erdet jeden Change Prozess ein bischen, oder? Manchmal ist der weite Blick von oben einfach heilsam.
Artikel 8, „Maach et joot, ävver nit zo off.“ („Mach es gut, aber nicht zu oft.“) verstehe ich als einfachen Appell für mehr Mäßigkeit, der in Zeiten von XXL-Schokoriegeln nichts an Aktualität verloren hat.
Artikel 9, „Wat soll dä Kwatsch/Käu?“, („Was soll das sinnlose Gerede?“) hat sich vermutlich auch jede/r nicht-KölnerIn in letzter Zeit häufiger, spätestens bei der Lektüre der politischen Schlagzeilen, einmal gefragt. Wikipedia bietet als zusätzliches Interpretationsangebot „Stell immer die Universalfrage“. Im Coaching würde ich fragen „Worum geht es eigentlich im Kern, wenn dies oder jenes immer wieder geschieht?“
Gerne würde ich noch die ebenfalls kölsche Aussage „Jede Jeck es anders“ ergänzen, die vor allem in der Teamentwicklung stets relevant ist. Denn immer wenn mehrere Menschen mit einander zu tun haben, ist es hilfreich, sich bewusst zu sein, dass „jede Jeck“ – für den Kölner ist jeder Mensch ein „Jeck“ – anders ist, also andere Erfahrungen, Werte und Bedürfnisse hat. Und dass dies normal und in Ordnung ist.
Ich finde, das Rheinische Grundgesetz ist insgesamt ein einprägsames Rezept für mehr Gelassenheit.
Welcher Artikel spielt in Ihrem Leben derzeit eine wichtige Rolle?
Autorin: Corinna Lütsch
Corinna Lütsch ist geschäftsführende Gesellschafterin der mentalenz GbR sowie Lehrkraft für besondere Aufgaben an der FH Kiel. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen Teamentwicklung, Business Coaching sowie Selbst- und Zeitmanagement.